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"Bundeswehr statt Bundesliga"  /  Stef-Art (c) 2025
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zeit.de

Ende September 2025 wird es ernst im Hamburger Hafen. Dann proben dort Vertreter der Bundeswehr, der Zivilgesellschaft und der Wirtschaft, wie sie im Kriegsfall zusammenarbeiten. Mehr als 600 Menschen sind an dieser Übung namens Red Storm Bravo beteiligt, der Hafen wird für fünf Tage ihr Drehkreuz. Mit dabei: 75 Angestellte der Bundesagentur für Arbeit. Im Spannungs- und Verteidigungsfall erhalten sie nämlich ganz neue Aufgaben. Sie müssen dafür sorgen, dass alle wichtigen Jobs im Land besetzt sind. Zum Beispiel im Lazarett, beim Technischen Hilfswerk oder auch bei Rüstungsunternehmen. Dafür dürfen sie jeden Mann im wehrfähigen Alter (18 bis 60 Jahre) zum Arbeitseinsatz verpflichten – auch Kriegsdienstverweigerer. Frauen können lediglich zur Arbeit im Lazarett gezwungen werden.

Zurück geht diese Reglung auf die Notstandsgesetze von 1968. Sie waren schon damals, in Zeiten des Kalten Krieges, hochumstritten, weil sie einen starken Eingriff in die Grundrechte eines jeden Bürgers darstellen. Der Bundestag hat sie trotzdem beschlossen und damit auch das sogenannte Arbeitssicherstellungsgesetz, das im Verteidigungsfall die freie Wahl des Arbeitsplatzes einschränkt. Angewandt wurde es bis heute noch nie. Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine 2022 ist es aber wieder relevanter. 

Die Bundesregierung hat das Gesetz zu Jahresbeginn sogar erweitert. Unter anderem hat sie konkretisiert, auf welche Bereiche es im Krisenfall besonders ankommt. Also wohin die Arbeitsagentur Menschen im wehrfähigen Alter zwangsversetzen darf.

Neu in der Liste sind etwa Produzenten von Kohle, Gas und Wasserstoff, da sie das Land mit Energie versorgen. Als weitere kritische Bereiche definiert das Gesetz die Verteidigung (Bundeswehr und Rüstungskonzerne), die öffentliche Verwaltung, Lebensmittelbetriebe, Wasser- und Stromwerke, Logistikkonzerne, Müllentsorger, Banken, Krankenhäuser, Betreiber von Telekommunikation und Zivilschutzorganisationen wie das Technische Hilfswerk.

Voraussetzung für eine Zwangsversetzung ist, dass die Regierung den Verteidigungsfall – oder die Vorstufe, den Spannungsfall – im Bundestag beantragt und zwei Drittel der Abgeordneten zustimmen. Außerdem kann das Parlament, ebenfalls mit Zweidrittelmehrheit, einzelne Notstandsmaßnahmen wie das Arbeitssicherstellungsgesetz aktivieren. All das ist nur möglich, wenn ein Angriff auf Deutschland bevorsteht oder bereits stattfindet. Der Bündnisfall der Nato reicht nicht aus.

Der Bund bekommt durch diese Beschlüsse neue Kompetenzen: Er lenkt dann auch die Wirtschaft, kann etwa bestimmen, dass Werften, die für die Marine Schiffe bauen und reparieren, bevorzugt mit Stahl, Strom und Treibstoff versorgt werden. Für den Arbeitsmarkt bedeutet der Verteidigungsfall: Alle wehrpflichtigen Männer, die nicht den Kriegsdienst verweigert haben, können als Soldaten einberufen werden. Also auch Mitarbeiter von Krankenhäusern als Sanitäter oder Fachkräfte von Airbus für die Instandsetzung von Kampfjets.

Die Bundesagentur für Arbeit soll dann die freiwerdenden Stellen in den für die Verteidigung relevanten Branchen schnell wieder besetzen – und den ohnehin stark steigenden Bedarf bei Munitionsherstellern oder Treibstoffproduzenten auffüllen. "Wenn es in lebens- und verteidigungsrelevanten Bereichen einen Arbeitskräftebedarf gibt, dann prüfen wir, wer die Kompetenzen hat, um eine bestimmte Aufgabe zu übernehmen", sagt Reinhold Wellen, der operative Geschäftsführer der Agentur für Arbeit in Hamburg.

Seine Behörde kann dann im Zweifel sogar Jobwechsel untersagen – für alle Menschen, die in kritischen Bereichen arbeiten. Das gilt für Männer wie auch Frauen. Wellen nennt als Beispiel eine Krankenschwester, die in einer Klinik arbeitet, in der im Kriegsfall zahlreiche Schwerstverletzte ankommen: "Für den Fall, dass die Krankenschwester kündigen will, müssen wir schauen, ob es in der betroffenen Klinik genügend Personal gibt und ob es in Ordnung ist, dass sie aufhört."