Die Jüdin Bella Fromm: Tagebuch einer "Insiderin" über den rasanten Aufstieg der NSDAP - "Als Hitler mir die Hand küsste" ...
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FAZ
Obwohl sie 1942 in den Vereinigten Staaten mit „Blood and Banquets – A Berlin Social Diary“ einen Bestseller landete, gilt es, die deutsche Jüdin und Journalistin Bella Fromm noch immer dem Vergessen zu entreißen.
In ihrem Buch, das erst 1993 unter dem Titel „Als Hitler mir die Hand küsste“ auf Deutsch erschien, schildert Fromm eigene Erlebnisse und Beobachtungen beim Aufstieg des Nationalsozialismus, der die 1890 in Nürnberg geborene und im unterfränkischen Kitzingen aufgewachsene Journalistin 1938 ins amerikanische Exil getrieben hatte. Fromm wollte mit „Blood and Banquets“ die amerikanische Bevölkerung über den verbrecherischen Charakter des NS-Regimes aufklären und einen Beitrag zu seiner Niederringung leisten.
Ihre Ausführungen zeichnen sich durch unmittelbare Nähe zu den gesellschaftlich führenden Kreisen und politischen Entscheidungsträgern der Weimarer Republik aus, aber auch durch eine in dieser Form nur selten anzutreffende politische Urteilsfähigkeit, die den Vergleich mit heute viel bekannteren jüdischen Intellektuellen und Totalitarismusforschern wie Hannah Arendt oder Raymond Aron nicht zu scheuen braucht.
Auch sie hatten in Berlin den Aufstieg des Nationalsozialismus miterlebt und sich in einigen ihrer späteren Veröffentlichungen mit der immer wieder neu zu beantwortenden Frage beschäftigt, wie es überhaupt am 30. Januar 1933 zur „Machtergreifung“ hatte kommen können, warum gerade die führenden Kreise um Reichspräsident Hindenburg die Ernennung Hitlers zum Regierungschef nicht verhindert hatten.
Die in der Berliner Hauptstadt lebende Fromm hatte sich seit Ende der Zwanzigerjahre einen Namen als Gesellschaftsreporterin gemacht. Sie stammte aus einer wohlhabenden Weinhändlerfamilie, hatte durch die Inflation den größten Teil ihres ererbten Vermögens verloren und war nach dem Zusammenbruch des Unternehmens ihres zweiten Ehemanns dazu gezwungen, den für sich und ihre kleine Tochter selbst zu verdienen.
Nach journalistischen Arbeiten für die Lokalzeitung „Grunewald-Echo“ und als Sportreporterin für das „12-Uhr-Blatt“, die „Hamburger-Zeitung“ und die Zeitschrift des Tennisclubs Rot-Weiß, schrieb sie als Gesellschaftsreporterin für das „12-Uhr-Blatt“, den Berliner „Börsen-Courier“, die „B.Z. am Mittag“ (die erste Boulevardzeitung in Deutschland) und die renommierte liberale „Vossische Zeitung“, die das Vorzeigeblatt des Ullstein-Verlags war.
Insider-Informationen erhielt Fromm von ihren Freunden aus dem diplomatischen Korps oder von Botschaftern; ihre Kolumne in der „Vossischen Zeitung“ trug die Überschrift „Berliner Diplomaten“. Deren Augenmerk galt hauptsächlich den Beamten des Auswärtigen Amtes, dessen Spitzenpersonal fast ausschließlich dem Adel entstammte. Fromm bewegte sich in diesem Milieu mit großer Selbstverständlichkeit, weil es ihr alles andere als fremd war:
Als Kind war sie es gewohnt, dass die bayerischen Prinzen im Haus ihrer Eltern verkehrten. Auch deshalb wurde sie in der Welt der Diplomaten und Botschafter zu einer umworbenen Journalistin. Sie nahm an offiziellen Veranstaltungen sowie unterschiedlichsten privaten Zusammenkünften (Festen, Dinnerpartys, Tee-Gesellschaften) dieser Kreise teil und berichtete davon in ihrer Zeitung ganz nach dem Geschmack des Publikums.
Ihr Tagebuch wiederum schrieb sie ganz für sich – in einer Eintragung vom 1. Oktober 1928 heißt es: „so wie ich die Dinge wirklich sehe und höre“. Hier notierte sie, wie sich auch und gerade in adligen Kreisen nach dem erdrutschartigen Erfolg der NSDAP bei der Reichstagswahl vom September 1930 hohe Anfälligkeit für die immer stärker anwachsende NS-Bewegung zeigte. Fromm beschrieb die enge Affinität des Adels zu zentralen Komponenten der nationalsozialistischen Weltanschauung.
Sie nahm vorweg, was Stephan Malinowski 2003 in seiner Studie „Vom König zum Führer“ feststellen sollte: dass der im preußischen Adel herrschende Konsens die Annäherung an die NS-Bewegung erklärbar machte. In der gleichermaßen „diffusen wie aggressiven Weltdeutung des Nationalsozialismus verschmolzen Republik, Demokratie, Parlamentarismus, Parteienstaat, Liberalismus, Judentum, Sozialismus und Bolschewismus zu einem homogenen Block, der in seinen wichtigsten Komponenten dem Feindbild entsprach, das im Adel bereits vor Hitlers erstem Auftreten fest etabliert war. Diese Beobachtung gilt praktisch für alle Gruppen des Adels.“
Hellsichtig hatte Bella Fromm bereits sehr früh erkannt, dass viele Spitzenbeamte des Auswärtigen Amtes, die sich als Repräsentanten einer besonders traditions- und prestigebetonenden politischen Führungsgruppe verstanden, nicht nur überzeugte Anhänger der konstitutionellen Monarchie war, sondern von Beginn an auch zu den entschiedensten Gegnern der Weimarer Republik zählten. Sie verfolgten das Ziel, das parlamentarische System wieder zu beseitigen und Linksparteien sowie Gewerkschaften auszuschalten.
Deshalb schlugen sie sich auf die Seite der NS-Bewegung. Für deren Erfolg war es von enormer Bedeutung, dass die NSDAP-Elite um Hitler, Göring oder Goebels Zugang zu den gesellschaftlich führenden Kreisen bekam, so etwa zum Herrenclub oder dem Berliner Ableger des Nationalen Klubs von 1919. Sie waren als Schalt- und Verbindungszentren hinter den Kulissen von Regierung und Parlament aufgebaut und explizit als elitäre Vereinigungen geschaffen waren. In ihnen vereinigte sich ein großer Teil der Elite aus Politik, Diplomatischem Dienst, Armee, (Ministerial-)Bürokratie, Wirtschaft, Kultur und (Hoch-)Adel.
Ihr Einfluss reichte bis in die Administration des jeweiligen Reichskanzlers und das Reichspräsidentenamt unter Hindenburg hinein. Hier wurden Weichen gestellt für die Zerstörung der Republik. Bella Fromm wusste nur zu genau, was sich hinter dieser Fassade abspielte und dass etwa im Herrenclub von der „Kamarilla“ um Hindenburg und dessen Sohn Oscar sowie dem Präsidialbüroleiter Otto Meissner zahlreiche Intrigen gesponnen wurden.
Dass die Familie Herbert von Dirksens, eines Spitzenbeamten des Auswärtigen Amtes, schon seit Jahren in ihrem „prächtigen Palast“ die Spitzen der NSDAP empfing, konnte Bella Fromm auch nicht überraschen. Seit 1930 war der Salon von Victoria von Dirksen, der Schwiegermutter des damaligen Botschafters in Moskau, zur vermutlich wichtigsten Schaltstelle zwischen altem Adel und NS-Bewegung geworden. Immer mehr wurde Fromm dank ihrer Kontakte zur Kronzeugin einer auch für sie persönlich verhängnisvollen Entwicklung.
In ihrem Tagebuch beschreibt sie in noch heute beeindruckender Weise, wie die gesellschaftlich führenden Kreise und zentrale politische Entscheidungsträger die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler mitermöglichten, die „neuen Herren“ in atemberaubender Geschwindigkeit die Schaltstellen der staatlichen Macht besetzten und schließlich die nationalsozialistische Diktatur zu errichteten.
Die Lektüre dieses Buches hilft nicht automatisch dabei, Antworten zu finden auf die aktuellen Gefährdungen der Demokratie. Allerdings schärft sie die analytische Brille, um vor allem den autoritären Angriff auf den deutschen Parlamentarismus durch die AfD nüchterner einzuschätzen.
Das von den demokratischen Parteien nach der eben absolvierten Bundestagswahl versicherte „Bündnis“ verhindert weiterhin, dass die AfD auf Bundesebene koalitionsfähig wird und somit an die Schalthebel der Macht gelangt. -
Blogger: Noch ... doch wie lange hält dieses Bündnis?