Der 9. November 1938 in Nazi-Deutschland -> im LICHT (?) des "Artikel 1 Grundgesetz" (BRD) -> 86 Jahre "danach" ...
Der 9. November des Jahres ...
- 1918: Novemberrevolution: Reichskanzler Max von Baden verkündet eigenmächtig die Abdankung von Kaiser Wilhelm II.
- 1918: Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg gründen in Berlin die Zeitung Die Rote Fahne als Organ des Spartakusbundes.
- 1923: Der Hitler-Ludendorff-Putsch wird von der Bayerischen Landespolizei
- vor der Feldherrnhalle in München blutig niedergeschlagen
- 1925: Hitler ordnet auf dem NSDAP-Parteitag die Umbenennung des im April gegründeten Sturmkommandos in Schutzstaffel (SS) an.
- 1936: In der Nacht vom 9. zum 10. November entfernen die Nationalsozialisten das Denkmal des jüdischen Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy vor dem Leipziger Gewandhaus.
- 1938: Pogromnacht: Im Deutschen Reich kommt es reichsweit zu organisierten Übergriffen gegen Juden und jüdische Einrichtungen, bei denen unter anderem Synagogen in Brand gesteckt werden. Polizei und Feuerwehr haben Weisung, nur nichtjüdisches Eigentum zu schützen.
- 1989: Fall der Berliner Mauer: Nachdem SED-Politbüromitglied Schabowski auf einer im DDR-Fernsehen übertragenen Pressekonferenz die Gewährung von Reisefreiheit bekanntgegeben und die Nachfrage nach dem Beginn dieser Regelung um 18:57 Uhr mit „Das tritt nach meiner Kenntnis… ist das sofort, unverzüglich“ beantwortet hatte, strömen Tausende zu den Grenzübergangsstellen: Beginnend mit dem Übergang Bornholmer Straße öffnen sich für die DDR-Bürger damit die Berliner Mauer und die anderen innerdeutschen Grenzen.
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Von Stefan Weinert
Der in Artikel 1 Grundgesetz (GG) verankerte Schutz der Menschenwürde steht ganz bewusst an erster Stelle der Deutschen Staatsverfassung und hat eine derart herausragende Rolle und Wichtigkeit, dass sie sich über alle Grundrechte legt und mittelbar, also ganz direkt ohne irgendeine Ausnahme, auf diese einwirkt. Als oberstes Gut der Verfassung und höchster Rechtswert im Staat kommt diesem Grundrecht eine Sonderstellung zu, so dass es in keinerlei Weise berührt werden darf. Die Menschenwürde als Wurzel aller Grundrechte ist mit keinem Einzelgrundrecht abwägungsfähig. (Vgl. Menschenwürde, Menschenrechte, Grundrechtsbindung, Rn 4f)
In persönlicher Hinsicht umfasst der Schutzbereich der Menschenwürde gemäß diesem wichtigen Passus zunächst Jedermann und Jedefrau, also alle Menschen, die im Geltungsbereich des Grundgesetzes leben. Demnach also nicht nur Deutsche mit einem deutschen Pass oder deutschem Personalausweis (deutsche Staatsangehörigkeit), sondern auch Angehörige eines EU-Staates, eines europäischen Staates, Flüchtlinge mit oder auch ohne eine gültige Aufenthaltserlaubnis. (a.a.O.)
Ausgenommen sind jedoch juristische Personen (Firmen, Organisationen ...). Der Schutzbereich des Artikels 1 GG umfasst nicht nur den Zeitraum von der Geburt bis zum Tode, sondern beginnt bereits vor der Geburt, also in der pränatalen Phase, und geht über den Tod hinaus. (a.a.O.)
Noch vier Jahre vor Entstehung des Deutschen Grundgesetzes und die vorausgehende Dekade (ab 1933) - in der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur, wurde die Würde des Menschen erbarmungslos und grausam mit Füßen getreten wurde. Aus diesen bitteren Erfahrungen heraus wurde die Würde des Menschen als oberster Wert an die Spitze des Deutschen Grundgesetzes gestellt. Die Norm ist überdies im Zusammenhang mit Artikel 79 Satz 3 des GG zu lesen: Daraus ergibt sich, dass die Menschenwürdegarantie in ihrer Unabänderlichkeit zusammen mit Artikel 20 GG (Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden) die tragenden Säulen des Grundgesetzes darstellen. (Vergleiche "Die Garantie der Menschenwürde")
Gerade seit dem Jahr 2015 steht in Deutschland wieder einmal der "Mensch", so wie er seit 1949 im Grundgesetz verankert und auch gemeint ist, zur Disposition. Der Rechtsruck in der "Alternative für Deutschland" (AfD), die Entstehung der rechtsnationalen PEGIDA und des "Freien Sachsens", die angeblichen Reichsbürger und viele andere faschistischen Organisationen, zeigen diese regressive Bewegung.
Statt "die Würde des Menschen" hätten die Mitglieder und Sympathisanten selbiger Gruppen lieber das "die Würde des Deutschen" - "die Würde des Christen" - "die Würde des Volksgesunden" - "die Würde des Nichtjuden" - "die Würde des Heterosexuellen" - "die Würde des physiognomisch Einwandfreien" - undsoweiterundsofort ... in ihrer Reichsverordnung stehen.
Doch für einen in Deutschland lebenden Bürger und Bürgerin, mit oder ohne deutschen Pass, muss der Mensch im Sinne der Menschlichkeit immer an erster Stelle stehen, bevor wir über "Deutsche und Türken", "Christen und Muslime", "Hetero- und Homosexuelle", menschengenachte Klimaveränderung und "keine menschengemachte Klimaveränderung", Impfen und Nichtimpfen zu Coronazeiten und eventuell noch kommenden Epidemien immer an erster Stelle stehen. "Entweder bist du Faschist oder Antifaschist" - so las ich dazu sehr passend auf Facebook.
In der jiddischen Sprache, eine annähernd tausend Jahre alte Sprache, die von Juden in weiten Teilen Europas gesprochen und geschrieben wurde und von einem Teil ihrer Nachfahren bis heute gesprochen und geschrieben wird, wird das menschliche Handeln eines Menschen mit "a mentsch" beschrieben, und ist ein Ehrentitel und eine Auszeichnung für den, der/die der menschlich = human handelt.
Es gibt nur die MENSCHLICHE LEITKULTUR, die sich aus den Grundsätzen der humanistischen Ethik speist. Eine "Deutsche Leitkultur" darf es nie wieder geben . . .
Zu der in Deutschland und der Welt wieder aufkeimenden Judenfeindlichkeit muss (!) an dieser Stelle noch viel gesagt werden. In den deutschen Fürstentümern, Teilstaaten, Grafschaften und Erzbistümern gab es schon immer einen latenten Judenhass. Martin Luther allerdings hat aus diesem "Antijudaismus" von Beginn seines Wirkens an (!) daraus den "Antisemitismus" entwickelt und ihn "uns" Deutschen in die DNA geschrieben. In meinem Buch "Luther's Liste" habe ich das gründlichst recherchiert und niedergeschrieben. Beginnend mit dem 19. Jahrhundert bis in die "Weimarer Republik", wucherte der Antisemitismus dermaßen, dass die von Luther befehligte und von ihm mit der Bibel belegte Judenvernichtung 1933 beginnen konnte!!
Im Jahr 1807 machte Napoleon Bonaparte die Stadt Kassel zur Hauptstadt des von ihm erschaffenen „Königreich Westphalen“, und ernannte seinen Bruder Jerome zum König an der Spitze. Dieser aber hatte einen guten Kontakt zu dem in Kassel lebenden Sprachwissenschaftler Jakob Grimm, und ernannte den zu seinem Spitzenbibliothekar auf dem Schloss „Napoleonshöhe“ (später „Wilhelmshöhe“).
Auch wenn Jakob und Wilhelm Grimm hervorragen Philologen, Journalisten, Publizisten und Autoren waren – sie waren auch durchgehend Antijudaisten respektive Antisemiten.
Wilhelm Grimm hatte 1833 ein Kurtagebuch geführt, in dem es an einer Stelle heißt: "Ich bemerke nur, dass die Juden immer mehr überhandnehmen, ganze Tische und Plätze sind damit angefüllt, da sitzen sie mit der ihnen eigenen Unverschämtheit, fressen Eis und legen es auf ihre dicken und wulstigen Lippen, dass einem alle Lust nach Eis vergeht. Getaufte Juden sind auch zu sehen, aber erst in der 5ten oder 6ten Generation wird der Knoblauch zu Fleisch.« (Das Judenbild der Brüder Grimm)
In einem Sendschreiben von 1815 des Jacob Grimm an "Herrn Hofrath" heißt es. "Alle Judenwörter, wenn wir sie unserm christlichen Sprachhaushalt brauchen wollen, klingen unedel und schmutzig; sie rühren aus dem gemeinen Umgang mit dem schachernden, wuchernden, trödelnden, fleischschächenden Volke her." (a.a.O.)
Der gemeinsame Sohn von Dorothea und Wilhelm Grimm namens Hermann, der ebenfalls ein bekannter Publizist war, setzte diese "Familientradition" insofern fort, als dass er sich im Berliner Antisemitismusstreit mit dem Historiker Heinrich von Treitschke solidarisierte, der 1879 in den Preußischen Jahrbüchern die berüchtigte Parole »Die Juden sind unser Unglück« ausgegeben hatte.
In dem von den Brüdern Grimm aufgeschriebenen Märchen "Der gute Handel" lassen die Schreiber einen der Protagonisten "Mauschel" heißen, was eine Verspottung und Veräppelung des jüdischen Vornamens "Mosche" (Moses) ist. Später heißt es in dem Märchen, „was ein Jude sagt ist immer gelogen“. Noch heute sprechen wir vom "Mauscheln", wenn jemand mit "falschen Karten" spielt, lügt und unehrlich ist. (vgl. a.a.O.)
An dieser Stelle wird wieder einmal deutlich, wie tief der Antijudaismus und der Antisemitismus in der Deutschen DNA verwurzelt sind. Der Holocaust ist keinesfalls urplötzlich aus der Hölle entstiegen ("vom Himmel gefallen" wäre nämlich an dieser Stelle mehr als unpassend) und die AfD im Deutschen Bundestag seit 2017 ist leider kein irgendwelches Unglück, das nicht hätte verhindert werden können.
Doch die "deutsche Reaktionsträgheit" (A. Mitscherlich) macht sich durch die Jahrzehnte bis heute bemerkbar. In vielen deutschen Köpfen ist Hitler immer noch, oder wieder, ein Mythos oder eine Witzfigur, über die man lustige Filme dreht, und dessen Nachkommen (AfD) man und frau mit Slapsticks versieht. Das deutsch-nationale Gedankengut war leider immer vorhanden, und hat sich aber im Kontext der Flüchtlingskrise ab 2015 und der Corona-Pandemie wieder ge-outet.
Eigentlich sollte dies ein Signal und Menetekel zum Aufwachen sein! Der deutsche Staat darf nicht nur ein Instrument für den Wohlstand sein und in administrativer Routine erstarren, was dann wiederum zur politischen Apathie in der Bevölkerung führt, sondern er muss inkludieren, was zu inkludieren ist, aber kompromisslos auch das exkludieren, was zu exkludieren ist, damit unsere Gesellschaft menschlicher, humaner wird.
*) Die Frage im Umgang mit dem Mitmenschen im Alltag und vor allem auch der Umgang der staatlichen Einrichtungen von Berlin bis in die kleinste Landgemeinde muss immer sein, ob wir mit dem Gegenüber nur nach „Recht und Ordnung“ verfahren, oder ob es auch noch Raum (und Geld) für echtes Verständnis, und ungeheucheltes an ihm und an ihr gibt. Nicht „mit welchen Gesetzen stimmst du überein, gegen welche Verordnungen hast du verstoßen, und wie passt du überhaupt in den Kontext meines/unseres Systems?“ sollten die Fragen sein, sondern die ersten Fragen an das Gegenüber sollten sein: „Was bist du für ein Mensch? Was geht in dir vor sich? Woran leidest du am meisten? Warum, weshalb und wodurch bis du so geworden, wie du es heute bist?“
Es darf eben nicht nur darum gehen, ob sich der Mensch für unsere Gesellschaft rechnet, sondern ob die Gesellschaft auf den momentan - meist im Abseits stehenden - Menschen zählt. Fakt und Realität ist, dass wir in einer Welt leben, in der der Mensch mehr und mehr als „Anwendungsfall für Gesetze“ (E. Drewermann) reduziert wird, als Verschiebematerial für Manager fungiert, oder einfach nur noch als Objekt der Begierde der Geschäftswelt gesehen wird. Oder gilt eben wieder, was Darwin bezüglich der Fauna und Flora meinte und Adolf Hitler dann auch auf "die Menschen" angewendet hat?: Die Natur kennt keine Gnade vor dem Individuum. In ihr überlebt nur der/das „Fitteste“ und vor allem der/das Angepasste. (Darwin).
Genauso aber ist es in unserer modernen Gesellschaft, weil wir leider vermehrt vergessen haben und/oder ausblenden, dass wir als Menschen (homo sapiens sapiens) insofern nicht mit der Fauna und Flora gleichgesetzt werden können und dürfen, die kein „Gewissen“ kennen, sondern nur von „Überlebensinstinkten“ gelenkt werden. „Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will,“ hatte einst Albert Schweizer (1875 bis 1965) gesagt – und er hat „vorgelebt“, wie das für jeden Menschen möglich sein kann.
Der Mensch, jeder Mensch, ist ein individuell begabtes Individuum, das seine Stärken und Begabungen in das Funktionieren der Gesellschaft einbringt, sich aber da helfend und unterstützend und solidarisch einbringt, wo der Einzelne und Teile der Gesellschaft kranken, hilflos sind und Schutz bedürfen. Hier hat Darwin nichts zu suchen. Es gibt und es darf ihn nie geben, den sozialen Darwinismus, wie ihn die Germanen und Arier vor 100 Jahren anfingen zu postulieren und ihn bis zum millionenfachen Mord praktizierten.
Von daher wäre es wünschenswert, wenn in all den Arbeitsfeldern, wo es um den direkten und helfenden Kontakt zum und mit dem Menschen geht – Arzt, Pfleger, Lehrer, Pfarrer, Sozialarbeiter, Bewährungshelfer, Jobcenter, Rathaus, Landratsamt, Krankenkasse, rechtliche Betreuung, Therapie - diese Philosophie, dieses Menschenbild, eine Selbstverständlichkeit ist.
Unser Gesellschafts- und Sozialsystem kennt viele helfende Einrichtungen, durch die dem Hilfe Suchenden zwar formell und meist auch nur punktuell die ihm zustehende Unterstützung gegeben wird und auch aus rechtlichen Gründen gegeben werden muss (siehe die eigenen Grundrechte und die des anderen, auf die Rücksicht zu nehmen ist). Doch das wirkliche Interesse an der Person, die hinter dem Problem steht, fehlt meist oder darf aus Zeitgründen oder Gründen der „Unternehmens/Behörden-Philosophie“ keine Rolle spielen.
Die Gleichgültigkeit in mancher Amtsstube ist groß und es gibt leider viele Mitarbeiter*innen in den entsprechenden Einrichtungen, die ihre Klientel unsensibel abspeisen, ihr nicht richtig zuhören und deshalb auch unangemessen handeln. Zu diesem Thema passend, sagte einst Sigmund Freud, „dass die Gesellschaft dem Menschen von außen Regeln aufzwingen musste, um die Wogen des Gefühlsüberschwanges zu bändigen, die Innen allzu ungehemmt aufwallen.“ Und in der Tat, wer Gefühle zulässt, sie auf sich wirken lässt, sie erwidert oder gar in seine Entscheidungen mit einbezieht, kann natürlich nicht mehr sachlich und nach (vor allem deutschen) Recht und Ordnung entscheiden. (Satire)
Mag sich auch unser Erdklima für alle spürbar erwärmen und mögen die Polarkappen mehr und mehr abschmelzen – in unserer „sozialen“ Gesellschaft gehen wir einer Eiszeit entgegen. Ich rede von der Kälte und Lieblosigkeit, mit denen so mancher Hilfe Suchende in den Büros (Lesen, Schreiben, Rechnen) und Wartezonen bedacht wird, wo er nur als Objekt, Kostenfaktor, Nummer und Fall behandelt wird, nicht aber als Subjekt, das leidet, fühlt, hofft, Wünsche und Bedürfnisse hat und in dem einmalige Möglichkeiten liegen, wenn sie denn nur wach gerufen würden. Der Mond, der Erdtrabant, der sich vor Milliarden von Jahren von ihr abgelöst hat, und sich jährlich weiterhin um exakt 3,8 Zentimeter von ihr, dem noch blauen Planeten entfernt, führt uns Monat für Monat, Jahr für Jahr vor Augen, worauf die Erde zusteuert: auf etwas Totes, Kaltes und Lebloses. Und das gilt nicht nur zeitgeschichtlich und astronomisch gerechnet in Lichtjahren, sondern auch im übertragenen Sinne gesellschaftlich, gerechnet in Dekaden.
*) - (Vergleiche: „Handbuch Case Management - ein Plädoyer für das perspektivische Case Management“, Stefan Weinert, 2009 ©)