So viele Menschen arbeiten in Europa trotz ihrer Rente weiter . . .
In Europa arbeiten im Schnitt etwa ein Fünftel der Rentner unter 70 Jahren in den ersten sechs Monaten nach Rentenbeginn weiter. Wie die Statista-Infografik mit Daten des OECD-Reports Pensions at a Glance (PDF-Download) zeigt, gibt es dabei ein auffälliges Nord-Süd-Gefälle: Über 40 Prozent der Rentner in den baltischen Staaten und Norwegen sowie rund ein Drittel in Finnland, Island und Schweden tun dies. Am anderen Ende des Spektrums kombinieren in Belgien, Frankreich, Griechenland, Italien, Luxemburg, Slowenien und Spanien nur etwa ein Zehntel der Rentner oder weniger ihre Rente mit einer Erwerbstätigkeit. Deutschland liegt mit einem Anteil von 14,3 Prozent nur wenig darüber.
Die OECD benennt mehrere strukturelle Gründe für das erwähnte Nord-Süd-Gefälle. So seien viele Rentensysteme in Nordeuropa stärker beitragsorientiert und eine längere Arbeitszeit führt hier zuverlässig zu spürbar mehr Rente. Zudem gäbe es hier im Schnitt weniger finanzielle Abschläge für Weiterarbeit und das Kombinieren von Arbeit und Rente sei vergleichsweise unkompliziert und zudem auch steuerlich attraktiv. In Südeuropa hingegen seien die Rentensysteme meist stärker staatsfinanziert und hätten starre Regeln. Arbeiten nach Rentenbeginn sei steuerlich und/oder rechtlich unattraktiv oder führe zu Rentenkürzungen. Generell sei der früherer Renteneintritt historisch fest verankert.

Die Beweggründe für ein Weiterarbeiten nach dem Renteneintritt sind laut OECD sehr unterschiedlich: Die Mehrheit der Erwerbstätigen in den baltischen Staaten gibt finanzielle Gründe an, während in Norwegen die Mehrheit angibt, aus Freude an der Arbeit weiterzuarbeiten. In Finnland und Schweden sind die Beweggründe vielfältiger, insbesondere in Schweden, wo ein Viertel der Erwerbstätigen angibt, dies vor allem zu tun, um sozial integriert zu bleiben – ein deutlich höherer Anteil als in jedem anderen europäischen Land.
Könnte eine längere Arbeitszeit über das Regelaltersalter hinaus die Finanzierungslücke der gesetzlichen Rentenversicherung in Deutschland verringern? Vermutlich nicht vollständig, denn der demographische Wandel (sinkende Geburtenzahlen, alternde Bevölkerung, längere Lebenserwartung) ist so stark, dass er – selbst bei steigender Erwerbstätigkeit im Ruhestand – eine enorme Belastung für das Umlage‑Rentensystem darstellt. Die Beiträge, die ältere Erwerbstätige zahlen, würden allein wahrscheinlich nicht ausreichen, um die deutlich steigenden Rentenausgaben langfristig auszugleichen. Als Voraussetzung braucht es flexible Teilzeitmodelle und altersgerechte Arbeitsplätze. Zudem muss sich die kulturelle Akzeptanz wandeln, denn in Deutschland gilt Arbeit nach Rentenbeginn noch nicht als Norm.
Eine neue DIW-Studie ergänzt die OECD-Daten. Danach sind nach Erreichen der Regelaltersgrenze sind noch sieben Prozent der Älteren erwerbstätig – mit durchschnittlich 19 Wochenstunden. Je besser die gesundheitliche Verfassung und je höher das Ausbildungsniveau, desto größer sei die Erwerbsbeteiligung im Alter. Die DIW-Experten weisen daraufhin, dass Ältere schon heute teilweise den zunehmenden Fachkräftemangel lindern würden. Es sollte daher verstärkt darauf hingearbeitet werden, dass ein höherer Anteil von Erwerbstätigen jenseits der Regelarbeitsgrenze im Arbeitsmarkt bleibt. Gesundheitsfördernde Maßnahmen, Fort- und Weiterbildung auch in höherem Alter oder Reformmaßnahmen im Steuer- und Sozialrecht könnten dies begünstigen.