Auch der Klimaschutz hat seine dunklen Seiten ...
Bäume pflanzen und damit CO2 kompensieren: Viele Firmen werben mit diesem Klimaversprechen. Die ARD-Doku "Verschollen – Schmutzige Geschäfte mit dem Klimaschutz" zeigt jedoch, wie Aufforstungsprojekte Existenzen von Menschen und natürliche Wälder vernichten – und die Wälder am Ende als Holzkohle in den Brennöfen von Stahlkonzernen landen.
In Pindaíbas, einer kleinen Gemeinde im Nordosten Brasiliens, fürchten die Menschen um ihre Zukunft. Denn was für andere die Lösung im Kampf gegen den Klimawandel sein soll, bedroht ihre Existenz, wie die ARD-Doku "Verschollen – Schmutzige Geschäfte mit dem Klimaschutz" (in der Mediathek zu sehen) zeigt.
Was rund um Pindaíbas geschieht, ist Teil eines globalen Geschäftsmodells, das als Hoffnung für den Planeten verkauft wird: CO2-Ausgleich durch Aufforstung. Die Idee klingt plausibel: Wer Emissionen verursacht, kann sie an anderer Stelle wieder ausgleichen – das CO2, das wir in die Atmosphäre blasen, wird von Bäumen aufgenommen und gespeichert. Also wird in großem Stil angepflanzt.
Monokulturen statt echter Wälder
Wer sich bei solchen Aufforstungsprojekten allerdings einen dichten Dschungel aus verschiedenen Baum- und Pflanzenarten vorstellt, wird in der ARD-Doku eines Besseren belehrt: Es handelt sich vielmehr um gigantische Plantagen, Monokulturen, so weit das Auge reicht. Dafür werden gewaltige Flächen benötigt – und Menschen wie die Bewohnerinnen und Bewohner von Pindaíbas sollen dafür weichen.Ausgleichszahlungen
Klimaschutz durch CO2-Kompensationen: Studien zeigen ernüchterndes Bild
29. Januar 2025 von Björn Lohmann (RiffReporter)"Da wird das Heilsversprechen der nachhaltigen Entwicklung genutzt, um die Bevölkerung zu enteignen", sagt Klemens Laschewski, Geologe an der Universität Minas Gerais, in der Doku. Der Deutsche erforscht seit Jahren, welche Konflikte Projekte wie diese in Brasilien auslösen. 540 Konflikte hat sein Team allein im Bundesstaat Minas Gerais dokumentiert, wo sich auch die traditionelle Gemeinde Pindaíbas befindet.
Die Einheimischen dort wehren sich gegen den Landraub. Sie protestieren, reißen Stacheldrahtzäune ein. Die Plantagenbetreiber reagieren mit Einschüchterungen und Gewalt, ausgeführt von privaten Sicherheitsfirmen. Mehrfach kam es schon zu gewaltsamen Übergriffen – vereinzelt gibt es sogar Berichte über Tote.
Natürlicher Wald muss dem Eukalyptus weichen
Doch die Bevölkerung von Pindaíbas droht nicht nur ihre Heimat zu verlieren, sie leidet schon heute unter den ökologischen Folgen des Projekts. Die schnell wachsenden Monokulturen von Eukalyptus verbrauchen enorme Mengen Wasser. Bäche und Quellen trocknen aus, Wildtiere verschwinden.
Wenn der Amazonas fällt, fällt auch das Weltklima
vor 4 Tagen von Elena Matera (RiffReporter)Auch natürlich gewachsene Ökosysteme müssen der Aufforstung weichen. Die ursprüngliche Vegetation des Cerrado – ein dichter, buschiger Savannenwald in der Region – wird gerodet, um Platz für den Eukalyptus zu schaffen. Doch sind die Eukalyptus-Plantagen tatsächlich besser fürs Klima als die natürliche Vegetation? Bewiesen ist das nicht. Die Doku begleitet ein Forschungsteam um Professor Dietrich Darr von der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf, um diese Frage zu klären.
Anhand von Bodenproben vergleichen die Forschenden die Klimabilanz und Biodiversität des Cerrado mit jener der Eukalyptus-Plantagen. Der Befund ist brisant – und stellt das Klimaschutzversprechen der Aufforstung infrage: Im Cerrado leben den Untersuchungen zufolge 30-mal so viele Arten und seine Wurzeln binden mehr CO2. Der natürliche Wald ist demnach besser fürs Klima und für die Umwelt.
Das Versprechen vom "grünen Stahl"
Das Problem hat noch eine weitere Dimension: Getrieben wird das Geschäft mit dem Klimaausgleich rund um Pindaíbas von internationalen Stahlkonzernen wie Gerdau, Aperam und ArcelorMittal. Sie kaufen riesige Flächen, pflanzen Eukalyptus – und werben schließlich mit "CO2-neutraler" Produktion.
Landraub mit fatalen Folgen
vor 4 Tagen von Lena Vanessa MüssigDenn der Eukalyptus soll nicht nur CO2 kompensieren, er wird auch zu Holzkohle verarbeitet. Die Bäume, die eigentlich das Klima schützen sollen, heizen damit die Schmelzöfen der Stahlindustrie an – und setzen den gespeicherten Kohlenstoff so wieder frei. Weil keine Braunkohle verwendet wird, entsteht auf diese Weise "grüner Stahl" – der auch der deutschen Industrie als Baustoff der Zukunft gilt.
Es ist ein System, das sich laut Wissenschaftler Darr selbst betrügt: "Wenn die Ökosysteme in Brasilien dafür zerstört werden, dass der Westen weiter Stahl produzieren kann – und das dann auch noch mit einem grünen Label versehen wird –, dann ist das total absurd."
Gütesiegel trotz zahlreicher Probleme?
Trotz der sozialen und ökologischen Schäden tragen viele der Eukalyptus-Plantagen das FSC-Siegel, vergeben vom Forest Stewardship Council in Bonn. Das Label soll garantieren, dass Menschenrechte gewahrt und Umweltstandards eingehalten werden. Doch für Klemens Laschewski ist genau das Gegenteil der Fall. "Hier wird ganz deutlich gegen das erste Prinzip des FSC verstoßen: die Menschenrechte zu beachten", sagt er.
Interne Dokumente, die der ARD vorliegen, sollen zeigen: Der FSC wurde mehrfach schriftlich über versiegte Quellen, Gewaltandrohungen und Landkonflikte informiert. Dennoch wurden die Beschwerden offenbar als "unbegründet" eingestuft.
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Nach Ausstrahlung der Doku hat der FSC Stellung bezogen: Die in der Doku gezeigten Bilder seien "erschütternd" und die erhobenen Vorwürfe widersprächen den Grundwerten, für die FSC stehe. Zudem seien der im Film genannte Stahlkonzern Aperam und die zuständigen Zertifizierungsstellen, die Zertifikate nach FSC-Standard vergeben, bereits 2024 überprüft worden. Dabei seien Versäumnisse beim Umgang mit Beschwerden lokaler Gemeinschaften wegen eingeschränkten Zugangs zu Wasser entdeckt worden. Die Zertifizierungsstelle habe daraufhin nachbessern müssen. FSC prüfe zudem, ob zusätzliche Maßnahmen gegenüber Aperam erforderlich seien.
Zu ArcelorMittal lägen FSC bisher keine Beschwerden vor, man habe aber eine Überprüfung der im Film geschilderten Punkte eingeleitet. Der im Film ebenfalls genannte Stahlkonzern Gerdau sei nicht FSC-zertifiziert.
Verwendete Quellen
- ARD-Mediathek: Verschollen - Schmutzige Geschäfte mit dem Klimaschutz
- FSC: Stellungnahme von FSC Deutschland zur ARD-Dokumentation "Verschollen – Schmutzige Geschäfte mit dem Klimaschutz"