Theodor Heuss zum 20. Juli: "Ein unsicheres Gewissen konnte Hitler nicht stören, da er gar kein Gewissen besaß."
Ansprache des Bundespräsidenten Prof. Dr. Theodor Heuss am 19. Juli 1954 im Auditorium Maximum der Freien Universität Berlin (Auszüge)
"Der Dank aber weiß darum, dass die Erfolglosigkeit ihres Unternehmens dem Symbolcharakter des Opferganges nichts von seiner Würde raubt: hier wurde in einer Zeit, da die Ehrlosigkeit und der kleine, feige und darum brutale Machtsinn den deutschen Namen besudelt und verschmiert hatte, der reine Wille sichtbar, im Wissen um die Gefährdung des eigenen Lebens, den Staat der mörderischen Bosheit zu entreißen und, wenn es erreichbar, das Vaterland vor der Vernichtung zu retten.
Hitlers Krieg gegen die Welt war damals militärisch schon verloren. Es wird heute wohl nur noch wenige Klardenkende geben, die das bestreiten wollen. Ich glaube, dass auch Hitler das wusste, aber mit der hysterischen Technik der Selbstbelügung sich darüber weg half. Ein unsicheres Gewissen konnte ihn dabei nicht stören, da er gar kein Gewissen besaß. Er wollte es auch den anderen verbieten. Himmler hatte es, nach meiner Erinnerung, seinen Leuten in einem Erlas schlechthin untersagt, sich auf ein Gewissen zu berufen.
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20. Jul. 2025
Darf ich von einem Gespräch mit Goerdeler erzählen, der mich Ausgang 1943 in Stuttgart aufsuchte? Es ging um die Frage: Wird es nach dem geplanten Attentat zu einer neuen „Dolchstoß-Legende“ kommen? Sie wissen alle: der Erste Weltkrieg war, wenn ich so sagen darf, militärisch reell verloren worden. Aber das dauerte nicht lange, dann kamen die Broschüren: „Im Felde unbesiegt“, die Heimat hat „versagt“, hat sich der siegenden Truppe versagt – Sie kennen das ja. Die Politik der zwanziger Jahre ist mit dieser bösen Lüge überbelastet gewesen, auch Hitler war ihr unbekümmerter Nutznießer – kann sich derlei wiederholen? Ehrgeizige und hemmungslose Demagogen mögen überall warten. Gibt man ihnen ein Arsenal, aus dem die Rückgewinnung eines einheitlichen Volksgefühls, der tragischen Nüchternheit wieder gefährdet werden kann? Ich meinte damals: damit wird man fertig werden, wenn erst die Ruchlosigkeiten und Rechtslosigkeiten dieser Zeit in ihren Dokumenten vorliegen – ach, ich muss heute sagen, ich kannte sie in ihrem Ausmaß gar nicht. Habe ich Recht behalten in diesem Glauben? Ich möchte es hoffen dürfen, wenn freilich wir gelegentlich die Fingerübungen einer schmähenden Tonfolge zu hören bekommen.
Der 20. Juli steht in einer anderen Atmosphäre als sie das Schicksal anderer Opfer umgibt, der vielen Tausende, die ihre Ablehnung des Hitlertums zu den Misshandlungen in den Konzentrationslagern führte, in den Tod, jener Zahllosen, die, in der inneren Emigration, im wechselseitigen Vertrauen sich stärkend, durch das wüste Denunziantentum, eine Frucht jeder Diktatur, stets bedroht blieben und ihr Opfer wurden; jener hilflosen Menschen, die durch nichts anderes als durch ihre jüdische Herkunft Freiwild für Verleumdung, Verfolgung, Vernichtung geworden.
Dies Drama ist auch in einem anderen Stil geschrieben als die heroische Ballade, die mit dem Namen und Ende der Geschwister Scholl und ihrer Freunde verbunden bleibt. Man mag da nicht von „Verschwörung“ sprechen, wo der Zwang eines gequälten Gewissens, wo die Scham über Untat und Lüge junge, reine Seelen dazu trieb, andere junge Seelen zur Verantwortung vor Gott und sich selbst zu wecken, um des deutschen Namens willen.
Natürlich war auch in diesem Kreise des 20. Juli das elementar Sittliche die Bindung, hier stärker, dort schwächer wesenhaft religiös getönt, aber das Emotionelle dann doch in die rationalen Überlegungen eingegliedert. Man kann den politisch-psychologischen Aspekt wählen im deutschen Herkommen oder doch Bewusstsein. Bislang geschiedene Gruppen trafen sich im menschlichen Vertrauen. Ich habe einmal, eine Formel Luthers gebrauchend, gesagt: Der „christliche Adel deutscher Nation“ verband sich mit Führern der Sozialisten, der Gewerkschaftler und sie erkannten sich in dieser Begegnung. Männer der Kirchen, Männer des Staates, deren Leben treue Amtserfüllung in den verschiedenen Stufen des behördlichen Seins gewesen war, in der Verwaltung, im Außendienst und – Soldaten, Berufssoldaten, darunter Obersten, Generale, Heerführer. Das ist hier die eigentümliche Sonderlage, von vielen als das zentrale Problem betrachtet.
Manche halten es für eine zu heikle Frage, als dass sie heute, gerade heute erörtert werden dürfe. Es wäre vielleicht bequemer, gerade davon heute nicht zu reden. Ich bin nicht für solche Form von Bequemlichkeit, sondern halte es für einen Gewinn, wenn jetzt in ernsten Auseinandersetzungen Historiker, Theologen, Juristen, Soldaten sich darum bemühen, die Fragen in ihrer geistigen Tiefe auszuschöpfen. Mein Ehrgeiz kann es nicht sein, jetzt dazu einen theologischen oder rechtsphilosophischen Beitrag leisten zu wollen, aber das Bekenntnis zur Tat und zu ihrem Recht, von dem ich vorhin sprach, fordert ein Wort.