đ€đ€Wenn die "Kanarienvögel" unserer Zeit verstummen, ist es fast zu spĂ€t --- Besser ist's, auf sie zu hören, solange sie noch ihren "Schnabel" auftun ...
Von Stefan Weinert
Inspiriert durch ein Buch von Florian Illies ĂŒber den Maler Caspar David Friedrich
Ende des 19. Jahrhunderts begannen die Menschen im damaligen deutschen Kaiserreich neue Töne zu hören. Und das im wahrsten Sinne des Wortes - und es ist zunĂ€chst nicht politisch gemeint. Darauf kommen wir aber spĂ€ter. Zu dieser Zeit kam von jenseits der Alpen, dem heutigen Ăsterreich, ein kleiner meist gelber, grĂŒner oder hellroter Vogel - bis hinauf zum Harzgebirge - den es auf natĂŒrliche Weise in Deutschland nicht gibt. Und auch nach Italien und Ăsterreich kam er erst durch die Entdeckung der Kanarischen Inseln und Azoren im 15. Jahrhundert.
Richtig, es handelt sich hier um den Kanarienvogel, der allerdings weniger in der freien Natur deutscher Lande lebte, sondern eher in den Wohnstuben und vor allem unter Tage, im Bergbau. Tiroler Bergarbeiter hatten ihn mitgebracht, weil dieser kleine Piep-Maps eine besondere Gabe haben. Eigentlich sind es zwei. Denn zum einen ist der domestizierte Kanarienvogel der einzige Vogel weltweit, dem ein verÀnderter Gesang beigebracht werden kann.
Doch seine eigentliche "Gabe", die ihn eben von jenseits der Alpen nach Mitteleuropa brachte war die, dass er unter bestimmten Bedingungen sein Gezwitscher einstellt und wenig spĂ€ter tot von der Stange seines KĂ€figs fĂ€llt, wĂ€hrend der Mensch noch rund 20 Minuten Zeit hat, diesem Schicksal zu entkommen. Deswegen wurde er bereits seit 1730 in sĂŒdlicheren LĂ€ndern als so genannter "Warnvogel" im Bergbau eingesetzt.
Denn dort - unter Tage - kann es oft zur - vom Menschen zunÀchst nicht erkennbarer Konzentration - bestimmter Gase und vor allem von Giftgasen kommen. ZunÀchst einmal durch das so genannte "matte Wetter". Das ist die verbrauchte Atemluft, in der die Anteile von Methan, Wasserstoff, Kohlendioxid und Stickstoff zu hoch geworden sind. Schlimmer ist die VerdrÀngung des Sauerstoffs durch Kohlenmonoxid [CO], ein geruchloses Gas welches bewirkt, dass das Blut nicht mehr genug Sauerstoff transportieren kann. Es kommt zur Kohlenmonoxidvergiftung von Lebewesen.
Und da kommt eben unser kleiner Freund von den Kanaren ins Spiel. Kanarienvögel stellen ihren Gesang ein, wenn der Sauerstoffgehalt der Atemluft durch Verbrauch und ohne neue Frischluft zum Leben nicht mehr reicht, oder durch Konzentration von giftigen Grubengasen so sehr verdrĂ€ngt wird, dass Lebensgefahr fĂŒr Mensch und Tier besteht. Er ist der Sensibelste, der Erste, der hier warnend reagiert. Vor allen anderen Lebewesen - ob Tier oder Mensch!
Dieser Exkurs in die Tierwelt schien mir wichtig. Denn es gibt und gab auch unter der Gattung "Homo sapiens" solche Zeitgenossen (zu jeder Zeit - seit Konfuzius, Laotse, Buddha, den alten griechischen Philosophen und Jesus von Nazareth, bis Kant, Tucholsky, Ghandi, Martin Luther King und den Warner/innen der Gegenwart), welche die Ersten sind - vor allen anderen - die auf die vergiftete AtmosphÀre der jeweiligen Zeit warnend reagieren - irgendwann aufhören zu "singen" und schlussendlich tot oder mundtot in ihren KÀfigen aufgefunden werden.
Ich denke hier jedoch nicht vorrangig an das aktuelle Thema "menschengemachte KlimaverĂ€nderung" im Sinne der Ăkologie. Denn da spielt das CO2 (Kohlenstoffdioxid), welches ein natĂŒrliches Nebenprodukt menschlicher und tierischer Atmung, Fermentation, chemischen Reaktionen und Verbrennung von fossilen Brennstoffen und Holz ist, eine wichtige Rolle. Nicht aber dieses hochgiftige, aber eben geruchlose CO (Kohlenmonoxid in den Kohlegruben), denn dieses ist das Ergebnis einer Verbrennung mit zu wenig Sauerstoff.
Gerade in der Zeit der "Weimarer Republik" aber auch schon zuvor, waren diese menschlichen Kanarienvögel höchst aktiv. Doch niemand hat wirklich auf sie gehört. Niemand hat das "Wehrte den AnfĂ€ngen" wirklich ernst genommen. Sondern man/frau hat weitergemacht, lamentiert, taktiert, ist eingeknickt, hat Kompromisse zugelassen und hat sie am Ende alle "verbrannt", inhaftiert, mit Schreibverbot belegt, ins KZ gesteckt und ermordet, oder in den Selbstmord getrieben. Die Liste ist lang - zu lang. Zu ihnen gehören bekannte Autoren wie Kurt Tucholsky, Karl von Ossietzky, Mascha Kaleko und Erich KĂ€stner. Aber auch unbekannte wie Walter Mehring, Erich MĂŒhsam, Alfred Döblin, Else Lasker-SchĂŒler, Klabund und Claire Goll.
Um im Bild zu bleiben: Das politische, gesellschaftliche und religiöse "GrubenunglĂŒck" der Jahre 1933 bis 1945 hĂ€tte verhindert werden können, wenn, ja wenn, die damaligen "Kanarienvögel" nicht als spinnende und exotische "Paradiesvögel" abgetan, oder als gefĂ€hrlich und unkende schwarze Raben abgeschossen, oder als "Nestbeschmutzer" und "VaterlandsverrĂ€ter" vertrieben worden wĂ€ren.
Und HEUTE? 2025 ...??
Ja, es gibt sie immer noch, die hoch sensiblen Zeitgenossen und Zeitgenossinnen, die als die Ersten aufhören zu verstummen, und/oder die irgendwann tot oder mundtot, von der "Stange ihres Protestes, ihrer Mahnungen und unermĂŒdlichen Engagements" - gefangen im KĂ€fig unserer "heilen" Gesellschaft, fallen. Da brauchen wir gar nicht so weit gehen. Und ich scheue mich da auch nicht den Vergleich "Weimarer Republik" 1932 und Bundesrepublik Deutschland 2025 zu ziehen.
Es fĂ€ngt vor Ort in der Kommunalpolitik an. BĂŒrger und BĂŒrger/innen werden als exotische oder ausrangierte Paradiesvögel bezeichnet (auf schwĂ€bisch "Spezielle"), weil sie mit ihrer laut geĂ€uĂerten Meinung und/oder Petitionen dermaĂen aus der Norm fallen, dass man/frau versucht sie so zu diskreditieren, dass sie irgendwann aufgeben und ihre Mund halten. Dass da durchaus auch mal eine ernstzunehmende warnende Stimme darunter sein könnte, will aber niemand wissen.
NatĂŒrlich denke ich dabei auch an die am 1. Dezember 2023 verstorbene engagierte Ărztin aus dem Nachbarlandkreis "Bodensee". Bekannte, das soziale Umfeld und die Medien gehen davon aus, dass Sie, nachdem sie gehört hatte, ihr werde gekĂŒndigt, Selbstmord begangen habe. Sie hatte zu Lebzeiten harsche Kritik an den VerhĂ€ltnissen "ihrer" Klinik in Friedrichshafen geĂŒbt, die hingingen bis zum Vorwurf des Totschlages. Wie weit hier die Untersuchungen fortgeschritten sind, entzieht sich meiner Kenntnis.
1932 gab es genug Warner vor der NSDAP - doch ohne Not und schon gar nicht hörend auf die Rufer in der WĂŒste, wurde Adolf Hitler zu Reichskanzler ernannt, bevor die immer stĂ€rker werdenden Kommunisten die Macht ergreifen. Heute ist es die AfD, welche nach der Macht ergreift (Machtergreifung), und aus der "Republik des Bundes von 16 LĂ€ndern mit Menschen aus 'hundert' Nationen" ein "NeupreuĂisches Reich mit 33 Gauen aus Deutschen MĂ€nnern und Deutschen Frauen" machen will.
Und so könnte ich fortfahren. Wir sollten nicht vergessen - auch wenn es etwas pathetisch und nach Hollywood klingt (siehe "Herr der Ringe") - wir alle, jedenfalls wir gemeinen BĂŒrger/innen - sitzen fest im Bergwerk des Lebens und sollten die Kanarienvögel unserer Zeit nicht aus dem Auge und dem Ohr verlieren. Wenn sie verstummen, ja wenn sie tot von der Stange fallen, sollten wir die ReiĂleine ziehen, um nicht dem "Untergang" geweiht zu werden. Besser ist es auf sie zu hören, solange sie noch ihren "Schnabel" auftun.
Und noch viel besser wĂ€re es, wenn jeder und jede von uns zum Kanarienvogel diese Zeit wird, anstatt zu schweigen, KĂŒchentischparlamente abzuhalten und/oder sich wegzuducken.