Verletzung von Klimapflichten durch den Staat [dazu gehören auch die Kommunen vor Ort] ist "völkerrechtswidrig"
Der Internationale Gerichtshof (IGH) hat ein wegweisendes Gutachten veröffentlicht: Staaten, die unter Klimafolgen leiden, könnten demnach Anspruch auf Entschädigung von Industrienationen haben.
In einem wegweisenden Gutachten hat der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag erklärt, dass eine "saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt" ein Menschenrecht sei und dass das Versäumnis, die Erde vor den Auswirkungen des Klimawandels zu schützen, eine Verletzung des Völkerrechts darstellen kann.
Der IGH, das höchste Gericht der Vereinten Nationen, unterstrich die Verpflichtung der Staaten, die Menschenrechte ihrer Bürgerinnen und Bürger angesichts steigender globaler Temperaturen zu schützen. Zudem müsse das Klima für "gegenwärtige und zukünftige Generationen" geschützt werden.
Bei der Verlesung des Urteils sagte IGH-Präsident Yuji Iwasawa: "Treibhausgasemissionen werden eindeutig durch menschliche Aktivitäten verursacht". Sie hätten "grenzüberschreitende Auswirkungen" mit weitreichenden Konsequenzen. Der Klimawandel sei eine "dringende und existenzielle Bedrohung", so der Vorsitzende des Gerichts in Den Haag
Er betonte, Staaten seien verpflichtet, bei der Verhinderung von Klimaschäden zusammenzuarbeiten und müssten sicherstellen, dass ihre nationalen Klimaziele so ehrgeizig wie möglich sind.
Größter Fall in der Geschichte des IGHDen Prozess vor dem Gerichtshof hatten Studierende aus pazifischen Inselstaaten ins Rollen gebracht. Sie drängten ihre Regierungen dazu, eine rechtliche Klärung zu fordern.
Der Staat Vanuatu beantragte daraufhin beim IGH, über die Verpflichtungen der Staaten zum Schutz des Klimas und der Umwelt vor Treibhausgasemissionen nach internationalem Recht zu entscheiden - und damit auch zum Schutz heutiger und künftiger Generationen.
Im Dezember hörte das Gericht Aussagen von fast 100 Ländern und von zwölf internationalen Organisationen zum Thema Klimawandel. Gaston Browne, Premierminister von Antigua und Barbuda, erklärte damals dem Gericht, der durch "ungehinderte Emissionen" verursachte Anstieg des Meeresspiegels trage die Küsten der Inseln ab und "verschlingt Land, das für unser Nation lebenswichtig ist".
Der karibische Archipel erodiert durch den Anstieg des Meeresspiegels und ist im Zuge des Klimawandels mit immer stärkeren Stürmen konfrontiert. Im Rahmen der Anhörungen im Dezember erklärten auch Staaten mit hohen CO2-Emissionen, wie etwa die Vereinigten Staaten, dass bestehende UN-Verträge – vor allem das Pariser Abkommen von 2015 – bereits rechtliche Verpflichtungen zum Handeln gegen den Klimawandel vorsehen.
In dem wegweisenden Abkommen hatten sich 195 Nationen darauf verständigt, die globalen CO2-Emissionen zu reduzieren und die globale Erwärmung auf möglichst unter 1,5 Grad Celsius (im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter) zu begrenzen. US-Präsident Donald Trump hat inzwischen den Austritt seines Landes aus dem Abkommen verkündet.
Fachleuten zufolge war das Pariser Abkommen jedoch nie dazu gedacht, alle Gesetze rund um den Klimawandel zu definieren. Es biete vielmehr Raum für viele verschiedene Gesetze, sagt Joie Chowdhury, leitende Anwältin beim Zentrum für Internationales Umweltrecht (CIEL). Denn die steigenden Temperaturen beträfen "fast jeden Bereich unseres Lebens".
Mögliche Instrumente zur Durchsetzung von Maßnahmen gegen den Klimawandel seien daher auch bestehende internationale Vorschriften zu Menschenrechten, internationales Recht und Gesetzgebung zur staatlichen Verantwortung. "Die Klimaabkommen sind nach wie vor sehr wichtig, aber sie sind nicht die einzige Option", betont Chowdhury im Gespräch mit der DW.
Rechenschaft für historische Klima-VerantwortungMit der Klage vor Gericht bat Vanuatu auch um Klärung der rechtlichen Konsequenzen für Länder, die ihren Verpflichtungen zur Senkung ihrer Emissionen nicht nachgekommen sind.
Einigen Fachleute zufolge tragen Länder, die im Verlauf der Geschichte am meisten CO2 ausgestoßen haben – darunter die USA, China, Russland und die Europäische Union – die größte Verantwortung für die globale Erwärmung tragen.
"Die Emissionen der Vergangenheit spielen eine Rolle", so Chowdhury zur DW - dieser Schaden sei bereits angerichtet. "Das muss anerkannt und behoben werden."
Ärmere Länder – von denen viele die Auswirkungen des Klimawandels am schlimmsten zu spüren bekommen, obwohl sie am wenigsten zu dieser Krise beigetragen haben – fordern seit langem, dass reichere Nationen für die Schäden aufkommen, die durch extreme Wetterereignisse im Zusammenhang mit dem Klimawandel verursacht werden.
Vor zwei Jahren wurde bei den UN-Klimaverhandlungen in Dubai ein Fonds für Verluste und Schäden eingerichtet. Bislang sind jedoch nur rund 700 Millionen Dollar an Zusagen eingegangen. Das ist weit weniger als die Hunderte von Milliarden Dollar Kosten, die Fachleute für die Schäden beziffern, die der Klimawandel bis 2030 verursachen dürfte.
„Im Kern geht es hier um Verantwortung. Um ein Signal, die Ära der leeren Versprechungen zu beenden", fügt Chowdhury hinzu.
Die Auswirkungen des Klimawandels auf die MenschenrechteDas Gutachten des IGH ist eines von drei Gutachten, in denen internationale Gerichte in den vergangenen Monaten Verpflichtungen von Staaten im Bereich des Klimaschutzes darlegen.
Anfang dieses Monats veröffentlichte der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte ein Gutachten. Darin bekräftigt er, dass Staaten, also Regierungen, verpflichtet sind, die Menschenrechte ihrer Staatsangehörigen dadurch zu schützen, dass sie für eine gesunde Umwelt und ein stabiles Klima sorgen.
In dem Gutachten wurde auch die staatliche Verantwortung in Bezug auf Desinformation hervorgehoben. Die Gutachter stellten fest, dass Behörden der Bevölkerung den Zugang zu "zuverlässigen, wahrheitsgemäßen und vollständigen Informationen" nicht behindern dürfen.
Im Mai letzten Jahres gab der Internationale Seegerichtshof eine beratende Stellungnahme ab, in der Treibhausgase als eine Form von Meeresverschmutzung gelten.
Obwohl beratende Stellungnahmen, wie das aktuelle Gutachten des IGH, nicht rechtsverbindlich sind, haben sie doch ein erhebliches rechtliches und moralisches Gewicht.
Laut Umweltrechtsexpertin Chowdhury kann das neue IGH-Gutachten weitreichende Folgen für die COP30-Klimaverhandlungen im November in Brasilien haben. Es könnte bedeuten, dass "nicht alles verhandelbar ist", da einige Dinge jetzt klar rechtlich definiert wurden.
"Wir hoffen sehr, dass diese Klarheit einen expliziten rechtlichen Rahmen schafft, der es den Staaten und den am stärksten betroffenen Menschen an vorderster Front ermöglicht, Umweltverschmutzer für klimaschädliches Verhalten zur Verantwortung zu ziehen und Abhilfe und Wiedergutmachung zu erwirken", so Chowdhury.
Adaption aus dem Englischen: Patrick Grosse.