Margot Friedländer (+) - Ein Nachruf auf 103 Jahre jüdischen Lebens ... in Deutschland, den USA und zurück!
Die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer ist tot. Sie starb am Freitag im Alter von 103 Jahren, wie die Margot Friedländer Stiftung in Berlin mitteilte. Friedländer war nach Jahrzehnten als Emigrantin in New York im hohen Alter nach Deutschland zurückgekehrt. Die Berliner Ehrenbürgerin engagierte sich unermüdlich gegen das Vergessen, besonders die junge Generation lag ihr am Herzen.
Bekannt wurde ihre Geschichte durch einen Dokumentarfilm und ihre Memoiren. Sie bekam für ihren Einsatz viele Preise und viel Anerkennung - bis hin zum Besuch von US-Präsident Joe Biden, bei dem sie im Schloss Bellevue mit dabei war.
Margot Friedländer wurde 1921 in eine jüdische Familie geboren. Ihre Mutter und ihr Bruder wurden im Konzentrationslager Auschwitz ermordet. Sie selbst konnte dank vieler Helfer zunächst untertauchen, wurde dann aber gefasst und ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Sie überlebte, so wie ihr späterer Mann, mit dem sie schließlich nach Amerika ging.
Aus Friedländers direkter Familie überlebte niemand außer ihr den Holocaust. Dennoch zog sie mit fast 88, nach dem Tod ihres Mannes, wieder zurück in ihre Heimat, nach Berlin. In das Land der Täter. »Hass ist mir fremd«, sagte sie einmal.
Sie bekam in ihrer alten Heimat viel Anerkennung - eine liebenswerte, rüstige alte Dame, die so eindrucksvoll erzählen konnte. Ein Preis für Schüler-Projekte zum Holocaust und zur heutigen Erinnerungskultur trägt ihren Namen. Im Juni 2018 - mit 96 Jahren - wurde sie Berliner Ehrenbürgerin, zu ihrem 100. Geburtstag erschienen ein Interviewbuch und ein Bildband.
Im Herbst 2023 widmete das ZDF ihr ein Dokudrama - da lag die Pogrom-Nacht von 1938 - 85 Jahre zurück. Noch im Alter von 102 Jahren war sie zu Gast bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Im April 2025 trat sie als Festrednerin beim Bundespresseball am Brandenburger Tor auf.
Friedländer sprach vor Schülern und bei offiziellen Gedenkfeiern, darunter noch mit 100 Jahren im EU-Parlament in Brüssel. 2011 erhielt sie das Bundesverdienstkreuz. Eine ihrer Botschaften war: »Was war, können wir nicht mehr ändern, aber es darf nie wieder geschehen.«
Margot Friedländer wirkte am Ende sehr zart, zerbrechlich. Doch die kleine Frau stand kerzengerade fast bis zuletzt. Noch mit über 100 Jahren sprach die Holocaust-Überlebende in Schulklassen, mahnte auf Gedenkveranstaltungen - freundlich, geduldig, zäh. Sie erzählte von ihrer Familie, die von den Nationalsozialisten ermordet wurde, von ihrem eigenen Schicksal im Konzentrationslager Theresienstadt. Am wichtigsten aber war ihr eine Botschaft: »Seid Menschen.«
Noch am Mittwoch den 8. Mai 2025 trat sie mit dieser wichtigen Botschaft öffentlich auf. Ihre Stimme war schon sehr schwach. Nun ist die Berliner Ehrenbürgerin mit 103 Jahren gestorben.
Die Verfolgung und Entrechtung ihrer eigenen jüdischen Familie unter Adolf Hitler war ihr im Gedächtnis, »als ob es gestern wäre«, wie sie der Deutschen Presse-Agentur Anfang 2025 sagte. Sie gehörte zu den Letzten, die das alles erlebt hatten und selbst noch davon berichten konnten.
Aber Margot Friedländer lebte im Jetzt. Die Spaltung der Gesellschaft in Deutschland und das Erstarken der Rechten wühlten sie auf. »Ich verstehe nicht sehr viel von Politik«, sagte sie in dem dpa-Interview. »Aber ich sage immer: So hat es damals auch angefangen. Seid vorsichtig. Macht es nicht.«
Margot Friedländer wurde am 5. November 1921 in Berlin geboren. Damals hieß sie noch Bendheim. Ihre Eltern waren schon geschieden, als ihre Mutter Anfang der 1940er Jahre immer verzweifelter versuchte, mit ihren beiden Kindern aus Hitler-Deutschland herauszukommen. Unmittelbar vor der geplanten Flucht nach Oberschlesien wurde Margots Bruder Ralph 1943 von der Gestapo verhaftet. Die Mutter stellte sich, um ihren Sohn nicht allein zu lassen. Beide wurden später im Vernichtungslager Auschwitz ermordet.
Margot blieb zurück mit einem Satz ihrer Mutter, der später Titel ihrer Memoiren wurde: »Versuche, dein Leben zu machen.« Hinterlassen hatte die Mutter auch eine Bernsteinkette, die Margot dann ihr Leben lang trug. Und ein Notizbuch.
Die 21-Jährige hatte 16 Leute, die ihr beim Untertauchen in wechselnden Verstecken halfen. 15 Monate lang kam sie durch, dann ging es schief. Jüdische »Greifer«, die damals für die Nazis andere Juden aufspürten, erwischten sie auf der Straße. Sie wurde nach Theresienstadt deportiert - ein »Zwischenreich, nicht Leben, nicht Tod«.
Gegen Kriegsende sah sie das Elend der Menschen, die in den Wirren der letzten Tage aus Auschwitz kamen. Für sie wurde da gewiss: Sie würde ihre Mutter und ihren Bruder nie wiedersehen. Mit ihrem Mann Adolf Friedländer ging sie in die USA, wo sie in einem Kleidergeschäft und als Reiseagentin arbeitete. Mehr als 50 Jahre war er an ihrer Seite. »Wir hatten beide dasselbe erlebt, wir hatten beide dieselben Schmerzen, wir brauchten nicht darüber zu sprechen«, erzählte sie später. Ihr Mann starb 1997.
2003 kam Margot Friedländer erstmals wieder in ihre Heimatstadt zurück, auf Einladung des Berliner Senats und begleitet von Filmemacher Thomas Halaczinsky. Der drehte mit ihr den Film »Don’t Call It Heimweh«. Schon am ersten Tag habe sie wieder gefühlt, dass dies ihre Heimat sei, sagte Friedländer später. Mit Ende 80 zog sie zurück nach Berlin.
Ihr amerikanisches Umfeld war skeptisch. Die Deutschen sähen sie vielleicht nur als nette alte Lady und fühlten sich durch sie weniger schuldig, ist ein Einwand, den sie hörte. Margot Friedländer setzte sich darüber hinweg. Nie habe sie diese Rückkehr bereut, sagte sie. »Ich tue etwas, was Sie vielleicht komisch finden werden, aber ich bin - ich fühle mich als Deutsche.«
In ihrer neuen, alten Heimat bekam sie viel Aufmerksamkeit - viele hörten hin, wenn die alte Dame sehr eindrucksvoll erzählte. In ihrer Wohnung in einer Berliner Seniorenresidenz, wo sie mit ihrer sehr selbstbewussten Katze lebte, fanden die vielen Preise und Ehrungen kaum Platz. An den Wänden hingen Erinnerungsbilder mit Politikern, auf einem Tisch standen unter anderem der »Bambi« für ihren Mut und das gerahmte »Vogue«-Titelbild mit ihr.
Berlin machte sie zur Ehrenbürgerin, sie erhielt 2011 für ihr Engagement das Bundesverdienstkreuz. »Sie haben eine versöhnungsbereite Hand ausgestreckt, auf die niemand einen Anspruch hat«, sagte der damalige Bundespräsident Christian Wulff. Die späte Anerkennung tat ihr gut. »Ich habe gute Erfahrungen einerseits mit den Eltern, Erwachsenen, mit Kindern, mit Schülern gemacht«, sagte sie. »Mit Menschen.«
Bis ins hohe Alter ging sie gern in die Oper, wenn Zeit blieb. Ihr Lieblingswerk: »Nabucco«, die Geschichte von der Gefangenschaft der Hebräer in Babylonien. Beim Gefangenenchor »Va, pensiero« sitze sie oft mit Tränen in den Augen, sagte sie einmal.
Friedländer hinterlässt vieles, vor allem aber ihre Botschaft von Versöhnung und Erinnerung. Im Alter von 101 Jahren gründete sie eine Stiftung zur Förderung von Freiheit und Demokratie. Diese soll die Aufklärungsarbeit an Schulen fortsetzen und auch den Margot-Friedländer-Preis verleihen.
»Was war, können wir nicht mehr ändern, aber es darf nie wieder geschehen«, sagte Friedländer dazu. »Nie wieder soll auch nur einem Menschen das zugefügt werden, was damals mit Menschen gemacht wurde, weil Menschen nicht als Menschen anerkannt wurden.«
An der Skalitzer Straße 32 in Berlin-Kreuzberg erinnern Stolpersteine an den Bruder Ralph und ihre Mutter Auguste Bendheim. Auch Margot hat dort einen Stein. Darauf ist die Deportation nach Theresienstadt erwähnt. Darunter steht: »überlebt«.