Wie sich deutsche Nahostwissenschaftler gegen den jüdischen Staat stellen
International sind Boykott-Aufrufe gegen Israel in den Nahostwissenschaften mittlerweile Standard. Nun wird der Vorstand eines großen deutschen Forscher-Verbands von Anti-Israel-Aktivisten übernommen. Jüdische Wissenschaftler beklagen ein zunehmend antisemitisches Klima.
In der deutschen Nahostwissenschaft vollzieht sich eine Wende zum politischen Aktivismus – und gegen Israel. Der neue Vorstand der rund 1300 Mitglieder starken Arbeitsgemeinschaft Vorderer Orient (Davo) wendet sich laut Programmschrift gegen eigene „koloniale Denkmuster“, will den „Orientalismus überwinden“ und dem wichtigsten Verband des Bereichs einen neuen Namen geben. Wissenschaft dürfe nicht neutral sein, schreibt die seit September amtierende Vorsitzende Christine Binzel, Professorin für Volkswirtschaft an der Friedrich-Alexander-Universität Nürnberg-Erlangen. Man stelle sich „gegen Genozid und Völkermord, Kolonialismus und Rassismus“ und wolle „sichtbare Solidarität mit Palästina“ zeigen.
Was das bedeuten könnte, zeigen Binzels politische Einlassungen. Die Ökonomin fordert einen akademischen Boykott Israels. Die wissenschaftliche Zusammenarbeit mit dortigen Institutionen, die sich „mitschuldig“ an Verbrechen wie „Besatzung, Apartheid und Genozid in Palästina“ gemacht hätten, müsse beendet werden, heißt es in der auch von ihr unterzeichneten.
Aus der Davo kommt vereinzelt Widerspruch. Ein Islamwissenschaftler, der aus Furcht vor beruflichen Konsequenzen anonym bleiben möchte, kritisiert eine „monothematische“ Ausrichtung. Eine Position für Palästina sei zwar Konsens, sagt er und verweist auf die rund 60.000 getöteten Palästinenser im Gaza-Krieg. Der Vorstand erkläre allerdings nicht, wem „Solidarität“ gelte: „Für das Land, die Menschen in Palästina, dortige Organisationen – oder die palästinensischen Unterdrücker der Palästinenser?“ Ein Israel-Boykott sei falsch, er treffe auch regierungskritische und arabische Israelis.
Johannes Becke, Professor für Israel-Studien an der Hochschule für jüdische Studien Heidelberg und selbst Davo-Mitglied, wirbt für eine enge Kooperation von Islamwissenschaften und seiner Disziplin nach dem 7. Oktober. „Mit der Transformation der Davo in eine ideologische Echokammer, die von BDS-Unterstützern geführt wird, ist ein solches Gespräch dort nicht mehr möglich“, sagt der Forscher. „Die Forschung zu den arabisch-israelischen Beziehungen, bei der nicht die eine oder die andere Seite im Voraus als politischer Feind markiert wird, muss sich damit andere Räume suchen – außerhalb der Davo.“
Rückblick: 23. Mai 2024, Berlin, Deutschland: Die Berliner Polizei leitete am Donnerstag, dem 23. Mai 2024, die Räumung des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Humboldt-Universität ein und beendete damit eine pro-palästinensische Besetzung, die am Vortag begonnen hatte. Der Schritt folgte den Anweisungen der Universitätsleitung und der Regierung und war eine Reaktion auf die Forderungen und Aktionen der Aktivisten der vorangegangenen 24 Stunden. Behelmte Beamte betraten das besetzte Gebäude und stießen auf den Widerstand einer Gruppe von Aktivisten, die sich darin verbarrikadiert hatten. Mehr als 100 Personen hatten das Gelände verlassen, einige freiwillig, andere unter polizeilichem Zwang. Die Polizei gab an, mehrere Räume öffnen zu müssen, die die Besetzer gewaltsam blockiert hatten. Berlins Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra und der Regierende Bürgermeister Kai Wegner hatten die Präsidentin der Humboldt-Universität, Julia von Blumenthal, angewiesen, die Besetzung zu beenden. Bei dem Protest, der durch den anhaltenden Krieg im Gazastreifen ausgelöst wurde, forderten Aktivisten ein Ende der Besetzung und einen Waffenstillstand. Sie besetzten das sozialwissenschaftliche Institut der Universität und benannten es aus Solidarität mit dem dicht besiedelten Flüchtlingslager im Gazastreifen in „Jabalia-Institut“ um. Im Gebäude zeigten sie Transparente und skandierten pro-palästinensische Parolen. Einige Demonstranten begingen Berichten zufolge Vandalismus, darunter Graffiti und Sachbeschädigung. Die Besetzung wurde bis Donnerstagabend geduldet, wobei die Universitätsleitung mit den Aktivisten in Dialog trat. Die Situation eskalierte jedoch, als klar wurde, dass eine friedliche Lösung nicht möglich war, was ein Eingreifen der Polizei erforderlich machte. Die Polizei nahm die Identitäten aller anwesenden Personen auf und berief sie als mögliche Zeugen oder Verdächtige in die Ermittlungen zu während der Besetzung begangenen Verbrechen wie Vandalismus und der Verwendung von Symbolen verbotener Organisationen.„Aus euren Haaren haben wir Teppiche gemacht“, habe ein Mann auf dem Campus gerufenAuch das Netzwerk Jüdischer Hochschullehrender äußert Kritik: „Aussagen, die den 7. Oktober ästhetisieren, relativieren oder in ein ‚Befreiungs-Narrativ überführen, verkehren Täter und Opfer, negieren das Leid der Betroffenen und reproduzieren antisemitische Deutungsmuster“, sagt Leiterin Julia Bernstein, Professorin für Soziale Arbeit an der Frankfurt University of Applied Sciences. Statt „Romantisierung“ müsse das terroristische Massaker verurteilt werden.
Der akademische Boykott Israels untergrabe Wissenschaftsfreiheit und Glaubwürdigkeit der Forschung. „Für jüdische und israelische Forschende in Deutschland führt eine solche Ausrichtung zu Ausgrenzungserfahrungen, Selbstzensur, Einladungs- und Kooperationsverlusten, erhöhtem Sicherheitsdruck und realen Karriereeinbußen“, sagt Bernstein. Hinzu komme die psychische Belastung durchzunehmende Bedrohungen.