Compliance Untersuchung Klinikum Friedrichshafen: „Während sich einige der erhobenen Vorwürfe nicht bestätigen ließen beziehungsweise zum Teil widerlegt wurden, erwiesen sich andere hingegen als zutreffend.“
Quelle: kma vom 17. Juli 2024
Nach dem Suizid einer Oberärztin des Klinikums Friedrichshafen (MCB) am 1. Dezember 2023 liegen nun die Ergebnisse einer Compliance Untersuchung vor. Die Ärztin hatte vor ihrem Tod schwere Vorwürfe erhoben und auf Missstände hingewiesen. Der Aufsichtsrat der Klinikum Friedrichshafen GmbH hat sich in seiner Sitzung am 16. Juli 2024 über die ersten umfangreichen Ergebnisse der Compliance Untersuchung informieren lassen und auf dieser Basis weitreichende Konsequenzen beschlossen.
„Während sich einige der erhobenen Vorwürfe nicht bestätigen ließen beziehungsweise zum Teil widerlegt wurden, erwiesen sich andere hingegen als zutreffend“, sagt Dr. Andreas Minkoff von der Kanzlei Feigen Graf, der die Untersuchung in den vergangenen Monaten geleitet hat.
Bestätigung von Pflichtverletzungen und EntlastungenDie erhobenen Vorwürfe betreffen insbesondere verschiedene Behandlungen von Patientinnen und Patienten der internistischen Intensivstation sowie der kardiologischen Abteilung, bei denen wechselseitige Vorwürfe von Behandlungsfehlern erhoben worden sind, wie das Klinikum Friedrichshafen mitteilte. Innerhalb der Compliance-Untersuchung wurde dabei der Fokus auf zunächst neun Fälle gerichtet, die mittlerweile abschließend untersucht wurden.
In zwei Fällen ergeben die medizinischen Gutachten den dringenden Verdacht ärztlicher und arbeitsvertraglicher Pflichtverletzungen gegen einen betroffenen Chefarzt. In einer Aufsichtsratssitzung am 3. Juli 2024 hatte der vom Aufsichtsrat beauftragte medizinische Gutachter dem Gremium seine diesbezüglichen Feststellungen erläutert. Der Aufsichtsrat beschloss daraufhin, dem Chefarzt die Gelegenheit zur Stellungnahme zu den ihn belastenden Feststellungen des Gutachters zu geben. Die Aussage des Chefarztes lag in der Aufsichtsratssitzung am 16. Juli 2024 vor. Sie konnte den Chefarzt – auch aus der Sicht des wiederum teilnehmenden medizinischen Gutachters – lediglich punktuell entlasten.
Der Aufsichtsrat traf daher in seiner Sitzung am 16. Juli einen Beschluss zur beabsichtigten Beendigung des Arbeitsverhältnisses des Chefarztes. Die bei der Aufsichtsratssitzung anwesende (alleinvertretungsberechtigte) Geschäftsführerin des Klinikums schloss sich dieser Entscheidung an. Die erforderliche Anhörung des Betriebsrats zur beabsichtigten Beendigung des Arbeitsverhältnisses wurde eingeleitet.
Des Weiteren hatte die verstorbene Oberärztin unter anderem den Vorwurf einer fachlich unzureichenden ärztlichen Besetzung der internistischen Intensivstation durch den betroffenen Chefarzt erhoben. Dieser Vorwurf wurde im Rahmen der Compliance Untersuchung an mehreren konkreten Behandlungsfällen überprüft, die durch die Oberärztin gegenüber der Klinik benannt worden waren. Nach den Ergebnissen der Untersuchung – teils unter Einbeziehung des medizinischen Gutachters – hat sich der Vorwurf von Organisationsmängeln anhand dieser Einzelfälle nicht bestätigt. Insoweit wurde der betroffene Chefarzt entlastet.
Freigestellte Ärzte werden wieder eingesetztSoweit sich die Vorwürfe der verstorbenen Oberärztin auf den Einsatz individuell ungeeigneter Ärzte auf der Intensivstation bezogen, erwiesen sich zwei dieser drei untersuchten Fälle aus medizinischen und tatsächlichen Gründen als unbegründet. Dieses Ergebnis der Compliance Untersuchung wird dadurch bestätigt, dass die Staatsanwaltschaft Ravensburg zwischenzeitlich die Ermittlungsverfahren gegen zwei Ärzte, denen Behandlungsfehler vorgeworfen worden waren, mangels Tatverdachts eingestellt hat. Die Ergebnisse der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen sowie der Compliance Untersuchung sind insoweit deckungsgleich.
Im Falle eines weiteren Arztes gelangte der Gutachter zu dem eindeutigen Ergebnis, dass keine fachlichen Fehler in der ärztlichen Behandlung erkennbar sind. Der Aufsichtsrat erachtet auch diesen als entlastet. Der Aufsichtsrat hat deshalb am 16. Juli beschlossen, die bis zur Klärung der Vorwürfe freigestellten Ärzte, die durch die internen und externen Ermittlungen entlastet wurden, wieder einzusetzen. Die Umsetzung erfolgt unverzüglich durch die Geschäftsführung, teilte das Klinikum Friedrichshafen mit.
Im Hinblick auf einen weiteren Arzt hat der medizinische Gutachter hingegen einen einfachen Behandlungsfehler in Form einer „Fehlpriorisierung in schwieriger Lage“ festgestellt. Da dieser bereits seit einiger Zeit nicht mehr im Klinikum Friedrichhafen tätig ist, sind hier seitens der Klinik keine Maßnahmen veranlasst und möglich.
Zum Vorwurf an die Oberärztin: Behandlungsabbruch mit tödlichem AusgangDie interne Untersuchung bezog sich auch auf einen Fall, in dem der verstorbenen Oberärztin ein Behandlungsabbruch mit tödlichem Ausgang vorgeworfen worden war. Nach den Feststellungen des medizinischen Gutachters ist der Tod des Patienten durch die von der verstorbenen Oberärztin nach erfolgter Behandlung getroffene Entscheidung zum vorzeitigen, nicht richtlinienkonformen Abbruch der Therapie verursacht worden.
Diese Entscheidung der betroffenen Oberärztin war gemäß der Bewertung des medizinischen Gutachters „nicht fachgerecht und entsprach weder medizinisch noch gesellschaftlich konsentierten Kriterien“ und stellt „einen Verstoß gegen elementare Behandlungsstandards“ der betroffenen Oberärztin dar.
Hat das Klinikum angemessen auf die Vorwürfe der Oberärztin reagiert?Gegenstand der internen Untersuchung war schließlich auch die Frage, ob Vorgesetzte und Organe des Klinikums Friedrichshafen angemessen auf die von der verstorbenen Oberärztin erhobenen Vorwürfe reagiert haben. Das betraf unter anderem das von der Geschäftsführung eingeleitete Verfahren zum Ausspruch einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses bei zeitgleich stattfindenden Verhandlungen über eine einvernehmliche Beendigung. Die Kündigungsabsicht wurde in besonderer Weise auf den dringenden Verdacht eines medizinisch nicht indizierten Therapieabbruchs durch die verstorbene Oberärztin mit tödlichem Ausgang gestützt. Der medizinische Gutachter hat diesen Verdacht nun bestätigt.
Die Geschäftsführung hatte sich bei der Einleitung des Kündigungsverfahrens fachanwaltlich beraten lassen. Parallel zu dem eingeleiteten Kündigungsverfahren hatten bis unmittelbar vor dem Tod der Oberärztin Verhandlungen zwischen den beteiligten Anwälten zur Vermeidung des Ausspruchs der Kündigung stattgefunden. Ob die Reaktionen innerhalb der Klinik auch im Übrigen zulässig waren, wird Gegenstand weiterer Ermittlungen sein.
„Wir sind uns im Aufsichtsrat darüber bewusst, dass die Ereignisse der vergangenen Monate die Mitarbeitenden des Klinikums stark belastet haben“, sagt der Aufsichtsratsvorsitzende Andreas Brand. „Dass wir nun endlich an den Punkt kommen konnten, an dem wir in den zentralen Aspekten dieser Untersuchung Klarheit hergestellt haben, ist vor allem den Mitarbeitenden des Klinikums zu verdanken, die dieses Verfahren mit großem Engagement unterstützt haben“, sagt Brand und dankte den Mitarbeitenden des Klinikums im Namen des Aufsichtsrates ausdrücklich.
Compliance Untersuchung wird fortgesetzt„Von Beginn an war es dem Aufsichtsrat ein zentrales Anliegen, die Untersuchung ergebnisoffen, unabhängig und gründlich durchführen zu lassen“, so der Aufsichtsratsvorsitzende. „Ziel war es, die erhobenen Vorwürfe umfassend aufzuklären, eventuelle Missstände aufzudecken und für eine transparente und vertrauensvolle Unternehmenskultur am Klinikum Friedrichshafen zu sorgen.“
Die Ergebnisse sprächen für sich, sagt Brand. „Wir werden die auf Basis dieser Erkenntnisse beschlossenen Maßnahmen jetzt konsequent umsetzen.“ Er betont, dass mit den nun vorliegenden Ergebnissen der eigenständigen Compliance Untersuchung keine strafrechtliche Bewertung verbunden sei. Diese liege ausschließlich bei den ermittelnden Staatsanwaltschaften Ravensburg und Stuttgart. Die strafrechtliche Unschuldsvermutung gelte bis zum Abschluss von deren Ermittlungen weiter.
Im nächsten Schritt wird sich die Compliance Untersuchung auf die Verwendung der sogenannten Mitra-Clips im Klinikum Friedrichshafen konzentrieren. Danach wird die Untersuchung die Reaktion der Geschäftsführung des Klinikums auf die Vorwürfe der Oberärztin in den Fokus nehmen. Wann diese Ergebnisse vorliegen werden, ist abhängig vom Verlauf der Untersuchung.
Der Aufsichtsrat des Klinikum Friedrichshafen GmbH hatte im Januar 2024 die Anwaltskanzlei Feigen Graf mit einer Compliance-Untersuchung beauftragt. Die Kanzlei hat dazu in den vergangenen Monaten über 100 Aufklärungsgespräche mit Mitarbeitenden des Klinikums und Externen geführt sowie umfangreiche Unterlagen und Daten ausgewertet. Die ersten ausermittelten Behandlungsfälle wurden bereits von einem medizinischen Sachverständigen begutachtet.
Anlass für die klinikeigenen Ermittlungen waren Vorwürfe einer Oberärztin gegen das Klinikum. Sie hatte einem Chefarzt unter anderem Behandlungsfehler und Fehler in der Personalorganisation vorgeworfen. Auch der Oberärztin selbst waren Behandlungsfehler mit tödlichem Verlauf vorgeworfen worden. Die Ärztin hatte im Dezember 2023 Suizid begangen.
Zur Sachverhaltsaufklärung hat die Kanzlei unter anderem Ärztinnen und Ärzte, Pflegerinnen und Pfleger sowie weitere Beschäftigte des Klinikums befragt. Die befragten Personen konnten sich dabei von Zeugenbeiständen begleiten lassen. Ziel der Untersuchung war beziehungsweise ist es zu prüfen, ob die seitens der Oberärztin erhobenen Vorwürfe zutreffend und die darauffolgenden Reaktionen zulässig waren.
Auf Beschluss des Aufsichtsrates hin hat die Kanzlei Feigen Graf im Rahmen der Untersuchung die folgenden Themen beleuchtet:
- Welche Vorwürfe gegen Vorgesetzte und die Geschäftsführung wurden durch die Ärztin seit ihrer Ernennung zur Oberärztin der internistischen Intensivstation erhoben (insbesondere Inhalt, Zeitpunkt, Form und Adressaten)? Wurden in Zusammenhang mit der internistischen Intensivstation und der kardiologischen Abteilung ähnlich gelagerte Vorwürfe schriftlich an die Geschäftsführung oder den Aufsichtsrat herangetragen?
- Waren die durch die Oberärztin erhobenen Vorwürfe zutreffend und zulässig?
- Welche Reaktionen auf die erhobenen Vorwürfe erfolgten durch Vorgesetzte und die Geschäftsführung und zu welchem Zeitpunkt erfolgten diese?
- Waren die durch Vorgesetzte und die Geschäftsführung erfolgten Reaktionen zulässig und wurden alle erforderlichen Maßnahmen getroffen?
- Haben Vorgesetzte oder die Geschäftsführung in Zusammenhang mit den untersuchten Vorgängen in sonstiger Weise Pflichtverletzungen begangen?
Der Aufsichtsrat stand eigenen Angaben zufolge während des gesamten Prozesses im Austausch mit dem Team der Kanzlei Feigen Graf und hatte sich überdies für eine Kooperation mit der ebenfalls in dieser Causa ermittelnden Staatsanwaltschaft Ravensburg ausgesprochen, um eine lückenlose Aufklärung zu gewährleisten.